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Dr. Dietrich Growe,
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Andrea von Zelewski,
Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Arbeitsrechtliche Fragen im Umgang mit dem Coronavirus für Arbeitnehmer und Betriebsräte

Jeden Tag überrollen uns die Ereignisse und Meldungen zur Corona-Epidemie. Die Angst der Menschen wächst von Tag zu Tag. Mit vielen Maßnahmen wird auch in Deutschland versucht, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Im Arbeitsleben führt dies zu erheblichen Konsequenzen. Für Arbeitnehmer und ihrer Vertretungsorgane im Betrieb ergeben sich daraus arbeitsrechtliche Fragestellungen.

Wir wollen Ihnen Antworten auf die wichtigsten Fragen und Anregungen für die betriebliche Praxis geben.

Auf welche Schutzmaßnahmen im Betrieb habe ich Anspruch?

Die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer hat keinen besonderen Anspruch auf Schutzmaßnahmen. Nur wenn aufgrund der besonderen Arbeitsbedingungen sowieso besondere Schutzmaßnahmen erforderlich sind, wie zum Beispiel im Krankenhaus oder in der Lebensmittelindustrie, hat er einen Anspruch. Da es sich aber nicht um eine betrieblich verursachte Gefährdungslage handelt, ist der Arbeitgeber nicht zu besonderen zusätzlichen Schutzmaßnahmen verpflichtet.

Allein schon aus Fürsorge sollten Arbeitgeber ihren Mitarbeitern die erforderlichen Hinweise geben und die entsprechenden Maßnahmen ergreifen. Die aktuellen Entwicklungen und die Empfehlungen geben das Gesundheitsministeriums, das Robert-Koch-Institut und die zuständigen Gesundheitsämter. Als geeignete Präventivmaßnahme sollte der Arbeitgeber eine ausreichende Ausstattung mit virologisch wirksamen Desinfektionsmitteln zur Verfügung stellen. Am wirksamsten aufgestellt sind diese Mittel im Eingangsbereich und auf den Toiletten.

Muss ich zur Arbeit, wenn ich Angst vor eine Ansteckung habe?

Ja! Entscheidet der Arbeitnehmer selber, dass er zuhause bleibt, verstößt er damit gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten. Die Arbeitsleistung ist dort zu erbringen, wo der Arbeitgeber es fordert. Eine Folge kann sein, dass der Arbeitgeber abmahnt. Bei weiterer Weigerung zu arbeiten, kann er auch kündigen.

Wir stellen fest, dass aktuell aber viele Arbeitgeber versuchen, „Homeoffice“ möglich zu machen.

Wenn die Behörde meinen Betrieb schließt, von wem bekomme ich dann mein Arbeitsentgelt?

Der Arbeitgeber ist nach § 615 BGB verpflichtet, das Arbeitsentgelt weiterzuzahlen. Muss der Betrieb bei behördlichen Maßnahmen vorübergehend eingestellt werden, trägt der Arbeitgeber das Betriebsrisiko. Der Arbeitgeber gerät in „Annahmeverzug“, wenn er die angebotene Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nicht annimmt.

Die zuständigen Behörden und Gesundheitsämter können nach §§ 28 ff. Infektionsschutzgesetz (IfSG) die „notwendigen“ Maßnahmen zur Eindämmung von Krankheiten ergreifen. Und zwar soweit und solange diese Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Auf dieser Grundlage kann es zu einer (vorübergehenden) Betriebsschließung kommen.

Was ist, wenn ich selbst von der Behörde in Quarantäne geschickt werde?

Wird die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer von der zuständigen Behörde in Quarantäne geschickt, dann gibt es für diese Zeit, längstens jedoch für sechs Wochen, eine Entschädigung in Höhe des Entgelts vom Arbeitgeber. Der Arbeitgeber erhält die ausgezahlten Beträge auf Antrag vom Gesundheitsamt des jeweiligen Bundeslandes nach § 56 IfSG erstattet. Nach sechs Wochen übernimmt der Staat eine Zahlung in Höhe des Krankengeldes.

Ist der Arbeitnehmer erkrankt, erhält er die Lohn- und Gehaltsfortzahlung nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG).

Kann ich bereits genehmigten Urlaub zurückziehen?

Nein – ein einmal genehmigter Urlaub kann der Arbeitnehmer nicht einseitig widerrufen. Auch der Arbeitgeber kann einen genehmigten Urlaub nicht widerrufen, da er an seine Freistellungserklärung gebunden ist. Daher kann auch der Arbeitnehmer nicht seinen genehmigten Urlaub rückgängig machen. Die Reisebeschränkungen sind ja nicht vom Arbeitgeber verursacht und mit der Urlaubsgenehmigung sind ja nicht zwingend die konkreten Reisepläne des Arbeitnehmers verbunden.

Darf mir mein Arbeitgeber wegen Corona „Zwangsurlaub“ anordnen?

Der Arbeitgeber kann zwar aufgrund langfristiger Urlaubsplanung grundsätzlich Urlaubstage als Betriebsferien verplanen. Kommt es durch Ereignisse wie die Corona-Krise zu kurzfristigen Arbeitsausfällen oder Auftragsrückgang, gilt aber in der Regel: Der Arbeitgeber trägt das wirtschaftliche Risiko, er darf nicht „Zwangsurlaub“ anordnen. Entscheidet sich der Arbeitgeber, seine Beschäftigten von der Arbeitsleistung freizustellen, so müssen diese hierfür keinen Urlaub nehmen und behalten den Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung.

In Betrieben mit Betriebsrat bestehen im Übrigen die zwingenden Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nr. 5 Betriebsverfassungsgesetz.

Anders kann es bei Resturlaub aus dem Vorjahr sein: Insbesondere wenn der Arbeitgeber Kurzarbeit einführen will, müssen Arbeitnehmer unter Umständen sogar erst den Resturlaub nehmen.

Mein Arbeitgeber will mich in Kurzarbeit schicken. Muss ich mich darauf einlassen?

Dies ist einseitig durch den Arbeitgeber nur zulässig, sofern dies der Arbeitsvertrag oder die für das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifverträge ermöglichen. In Betrieben mit Betriebsrat können Arbeitgeber und Betriebsrat einvernehmlich durch Betriebsvereinbarung Kurzarbeit anordnen.

Wir haben festgestellt, dass Firmen derzeit in großem Stil bundesweit Kurzarbeitergeld bei den örtlichen Stellen der Bundesagentur für Arbeit (BA) beantragen. Für die Betroffenen bedeutet das erhebliche Einkommensverluste. Nach dem Gesetz erhalten Arbeitnehmer 60 Prozent (Eltern mit Kindern 67 Prozent) des vorherigen Nettogehaltes für die ausgefallene Arbeitszeit.

Kindergärten und Schulen haben geschlossen. Ich muss ein Kind oder mehrere Kinder betreuen. Was muss ich beachten, welche Rechte habe ich?

Die Organisation der Betreuung der Kinder, die nicht selber erkrankt sind, fällt in den Verantwortungsbereich des Arbeitnehmers. Sollten Sie also längere Zeit nicht am Arbeitsplatz erscheinen, kann der Arbeitgeber abmahnen und bei weiterer Weigerung in den Betrieb zu kommen auch kündigen. Allerdings hat das LAG Hamm in einem Fall der unerlaubten Verlängerung des Urlaubs wegen Betreuung des Kindes eine Kündigung für unwirksam erklärt.

Kurzfristig sind Arbeitnehmer, die eine notwendige Betreuung der mit ihnen im Haushalt lebenden Kinder nicht gewährleisten können, unter Umständen von ihrer Arbeitsleistung befreit und dürfen für eine nicht unverhältnismäßige Zeit unter Fortzahlung ihres Gehalts zu Hause bleiben (§ 616 BGB). Ob dies auch für den Fall von Kindergärten- und Schulschließungen wegen der Corona-Krise gilt, ist aber umstritten. Zudem reicht die nicht unverhältnismäßige Zeit nach der Rechtsprechung nur von einigen Tagen bis zu einer Woche. Zuletzt ist in vielen Arbeitsverträgen und Tarifverträgen diese Vorschrift ausgeschlossen. Hier ist also Vorsicht geboten. Im schlimmsten Fall droht die Kündigung, wenn Sie sich irrtümlich auf § 616 BGB berufen und ohne Abstimmung mit dem Arbeitgeber daheim bleiben.

Einen Anspruch auf unbezahlten Urlaub hat der Arbeitnehmer nicht. Auch hier sind alle einvernehmlichen Regelungen zwischen den Vertragsparteien möglich. Allerdings sollte der Arbeitnehmer darauf achten, dass er bei unbezahlter Freistellung nach spätestens einem Monat aus der gesetzlichen Versicherungspflicht fällt. Wir raten daher davon ab.

Kinder dürfen auch nicht einfach mit zur Arbeit genommen werden. Denn der Arbeitgeber kann aufgrund seines Hausrechts bestimmen, wer sich in den Betriebsgebäuden aufhält.

Im Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) gibt es zwar einen Anspruch auf zeitlich begrenzte Verringerung der Arbeitszeit für einen Zeitraum von mindestens einem Jahr und höchstens fünf Jahre, aber der Arbeitgeber kann das Verlangen des Arbeitnehmers nach Verringerung der Arbeitszeit ablehnen, soweit betriebliche Gründe entgegenstehen. Diesen Anspruch können auch die Parteien einvernehmlich mit sofortiger Wirkung vereinbaren. Eine gerichtliche Durchsetzung löst aufgrund der Verfahrensdauer nicht die aktuellen Probleme der Arbeitnehmer. Einvernehmlich können Arbeitgeber und Arbeitnehmer aber auch außerhalb des TzBfG eine befristete Teilzeitregelung als Ergänzung zum bestehenden Arbeitsvertrag regeln. Hier sind sie an keine Zeiträume gebunden.

Was gilt, wenn mein Kind erkrankt ist?

Wenn das Kind erkrankt oder pflegebedürftig ist, regelt § 45 SGB V, dass der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Zahlung von Krankengeld hat. Dies gilt jedoch nur bei Kindern, die das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Es besteht bei verheirateten Eltern für jedes Elternteil pro Kind ein Anspruch auf zehn Kinderkrankentage im Jahr.

Neben diesem Anspruch können sich die Eltern ohne Altersgrenzen der Kinder und den erforderlichen Zeiträumen auf § 616 BGB berufen. Nach § 616 BGB kann der Arbeitnehmer bei einer „vorübergehenden Verhinderung“ bezahlt von der Arbeit freigestellt werden. Die nicht unverhältnismäßige Zeit reicht nach der Rechtsprechung von einigen Tagen bis zu einer Wiche (§ 616 BGB). In vielen Arbeitsverträgen und Tarifverträgen ist diese Vorschrift allerdings ausgeschlossen. Hier ist also Vorsicht geboten.

Wenn die Betreuung des kranken Kindes unter keinen Umständen anders organisiert werden kann, können Eltern sich auf § 275 Abs. 3 BGB berufen. Danach entfällt die Arbeitspflicht, wenn die Leistung unzumutbar ist. Allerdings erhält der Arbeitnehmer dann auch kein Geld (§ 326 Abs. 1 BGB). Diesen Weg sollten Arbeitnehmer aber nur im absoluten Notfall gehen, da sie sich dem Vorwurf der Arbeitsverweigerung aussetzen. Soweit möglich, sollten unbedingt Absprachen mit dem Arbeitgeber versucht werden.

Mein Arbeitgeber will mich nach einer privaten Reise aus einem Risikogebiet 14 Tage lang zuhause lassen. Muss ich dieser Weisung Folge leisten?

Sofern der Arbeitsvertrag nicht eine Regelung über Homeoffice beinhaltet, kann der Arbeitgeber nicht im Rahmen seines Weisungsrechts anordnen, dass zuhause gearbeitet werden muss. Der Arbeitgeber hat keine Verfügungsbefugnis über die Wohnung des Arbeitnehmers. Will der Arbeitgeber trotzdem die Mitarbeitenden nach Hause schicken, dann gerät er in den Annahmeverzug nach § 615 BGB, weil er die Arbeitsleistung im Betrieb nicht annimmt. Der Arbeitnehmer kann dann zuhause bleiben, ohne zu arbeiten, erhält aber den sogenannten „Annahmeverzugslohn“.

Einvernehmlich können Arbeitnehmer mit dem Arbeitgeber für einen befristeten Zeitraum vereinbaren, dass die Arbeitsleistung zuhause erbracht werden kann.

Kann der Arbeitgeber ohne Mitbestimmung des Betriebsrats vorübergehend „Homeoffice für alle“ anordnen?

Die auch nur befristete Einführung von „Homeoffice“ löst verschiedene Mitbestimmungsrechte aus. Zunächst könnte es eine Versetzung nach § 99 BetrVG darstellen, weil sich die Arbeitsumstände für den Arbeitnehmer erheblich ändern. In diesem Fall muss ein Arbeitgeber den Betriebsrat anhören und seine Zustimmung einholen.

Auch können weitere Mitbestimmungsrechte nach § 87 BetrVG betroffen sein. So können mit der Einführung von „Homeoffice“ Fragen der privaten Nutzung des Internets und des Telefons (§ 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG), der Arbeitszeit und deren Überwachung (§ 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG), der Gestellung von technischen Einrichtungen (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG) und des Arbeits- und Gesundheitsschutzes (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG) berührt sein. Der Arbeitgeber kann also ohne Betriebsrat nicht für alle Arbeitnehmer Arbeit im „Homeoffice“ einführen.

Wenn der Betriebsrat allerdings aufgrund der aktuellen gesundheitlichen Gefährdung durch die Arbeit im Betrieb „Homeoffice“ oder „Telearbeit“ zulässt, dann sollte er dies einerseits von der individuellen Zustimmung des Arbeitnehmers abhängig machen und diese Betriebsvereinbarung zeitlich begrenzt abschließen. Ebenso sollte der Betriebsrat in der Betriebsvereinbarung Rechte der betroffenen Arbeitnehmer regeln und nicht die gesamte zeitliche Einteilung in das Direktionsrecht des Arbeitgebers stellen.

Dem Betriebsrat ist anzuraten bei der Beschlussfassung besonders aufmerksam zu sein.

Kann der Arbeitgeber bestehende Betriebsvereinbarungen, etwa zur Arbeitszeit, zu Reiserichtlinien oder zu Videokonferenz-Systemen aufgrund der besonderen Situation einseitig ändern?

Eine Änderung von bestehenden Betriebsvereinbarungen geht ohne Betriebsrat nicht. Auch hier sollte der Betriebsrat darauf achten, die Rechte der Beschäftigten möglichst wenig einzuschränken und Änderungen gegebenenfalls zeitlich begrenzt abzuschließen.

Wenn Sie noch Fragen haben, beantworten wir Ihnen diese gerne. Rufen Sie uns einfach an.
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